…der Ball liegt dann beim Arbeitgeber!
Damit Fliegen sicher bleibt: ver.di rät, im Bodenverkehrsdienst Gefährdungsanzeigen stellen
Jeder, der im Bodenverkehrsdienst auf Flughäfen arbeitet, kennt das: Zu wenig Personal da, Check-In-Mitarbeiterinnen hasten im Laufschritt quer durch das Terminal von einer Passagierabfertigung zur anderen. Auf dem Vorfeld sollen Rampenagenten mitunter zwei Maschinen gleichzeitig ordnungsgemäß abfertigen und damit die Kommunikation zwischen den Beteiligten an der Abfertigung und den Piloten sicher stellen. Pausen können nicht genommen werden. Das macht Stress, da drohen Fehler, kommt es womöglich zu Beschädigungen oder gar Unfällen. Doch verantwortlich für solche Missstände sind die Arbeitgeber. Die Beschäftigten haben ein wirksames Mittel, das eindeutig klarzumachen: Sie stellen eine Gefährdungsanzeige.
Eine Überlastungs- oder besser Gefährdungsanzeige ist eine Warnung an den Arbeitgeber, dass unter den gegebenen Bedingungen Risiken für Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten, für Passagiere, aber auch Gefahren für Maschinen und Material nicht auszuschließen sind.
Viele wissen es nicht, aber zu einer solcher Anzeige sind Beschäftigte gesetzlich sogar verpflichtet. Sie soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit geben, Gefahren abzustellen und Problemlösungen zu finden. Sie sichert aber auch, dass Beschäftigte für mögliche Folgen gemeldeter Überlastung oder mangelnder Arbeitsorganisation besser vor Haftung geschützt sind.
In einigen Bodenverkehrsdienst Unternehmen an den deutschen Flughäfen werden Gefährdungsanzeigen bereits konsequent genutzt: „Schon unser Vorgängerbetriebsrat hat dafür geworben, wir machen das seit 2014 ganz offensiv“, erzählt André Fernitz. Das Betriebsratsmitglied führt die Statistik. Bei der Aviation Ground Services – in Berlin-Tegel und in Schönefeld tätig – wurde 2016 ein trauriger Rekord von 326 solcher Anzeigen erreicht. Bis Mitte Juni dieses Jahres sind es schon wieder 131. „Sie kommen fast alle aus der Abteilung Operations“, weiß der verd.i-Aktive. „Die ist total unterbesetzt. Das Unternehmen weiß das, reagiert aber viel zu langsam.“ Zu 80 Prozent beträfen die Anzeigen Arbeitsverdichtung, aus der mögliche Gefahren erwachsen. Um die Personalengpässe zu beheben, könnten etwa Leiharbeiter, die bereits eingearbeitet sind, geschult und dann unbefristet eingestellt werden. Das durchzusetzen, sei für die Interessenvertretung ein ständiger Kampf. Die Gefährdungsanzeigen legten den Finger auf die Wunde und nähmen die Beschäftigten aus der Schusslinie. Wiederholt Gefährdung anzuzeigen, sei oft wirksamer als langes Reden. André Fernitz, der auch Mitglied der ver.di-Tarifkommission ist, hält solche Anzeigen auch bei anderen Bodenverkehrsunternehmen für sinnvoll.
Wir unterstützen solche Anzeigen und helfen dabei, dass diese vielerorts möglichst gleichzeitig gestellt werden, damit die Arbeitgeber die bestehenden Missstände endlich ernst nehmen und die Gefährdungsanzeigen nicht als Einzelfälle ignorieren können.
Katharina Wesenick
ehemalige ver.di-Tarifsekretärin
Mit jeder solchen Gefährdungsanzeige, die übrigens eine Urkunde ist und nicht vernichtet werden darf, „geben die Beschäftigten die Verantwortung dorthin zurück, wo sie hingehört: an den Arbeitgeber“. Egal, ob es um Personalmangel, fehlende Ausrüstung bzw. Schutzkleidung, defekte Arbeitsmittel oder auch unzureichende Arbeitsabläufe oder mangelnde Ausbildung für bestimmte Tätigkeiten geht: Eine Gefährdungsanzeige verpflichtet den Arbeitgeber, eine konkrete Lösung für das gemeldete Problem zu finden. kann das für ihn weitreichende negative Folgen haben.
ver.di unterstützt seit Anfang Juli mit umfangreichen Informationsmaterialen die Kolleginnen und Kollegen vor Ort.
Ganz wichtig: Die Anzeigen müssen bei den Vorgesetzten abgegeben werden, bevor eine Gefährdung eintritt. Und sie sollten immer auch an Vertrauensleute und Betriebsräte weitergeleitet werden. Nur dann kann die Interessensvertretung belegen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt: „Wir wollen die Gesundheit und Arbeitssicherheit unserer Mitglieder und aller Beschäftigten in den Bodenverkehrsdiensten schützen. Die Gefährdungsanzeigen erinnern die Arbeitgeber an ihre Fürsorgepflicht.“ sagt Katharina Wesenick.
Kurz erklärt: Gefährdungsanzeige
Durch Unterbesetzung drohen tagtäglich an den Flughäfen in Deutschland und weltweit immer wieder Fehler zu passieren, die Beschädigung von Arbeitsmaterial oder gar Unfälle. Verantwortlich sind für die Missstände die Arbeitgeber der Flughäfen und der Airlines. In Deutschland können sich die Beschäftigten gegen diese Zustände wehren und eine sogenannte „Gefährdungsanzeige“ stellen. Die Kollegen Stefan Wolf und Friedrich Bauer vom Flughafen Nürnberg erklären wie die Gefährdungsanzeige funktioniert:
Stefan Wolf und Friedrich Bauer zum Thema Gefährdungsanzeige
Unterbesetzung, Stress und Überlastung
Warum es so nicht weiter geht
Aufgrund des hart umkämpften Markts und dem Preisdruck der Airlines herrscht in der Passagier- und Gepäckabfertigung, im Transport, den Werkstätten, im OPS, auf dem Vorfeld und auf der Rampe
oft
Personalmangel
mangelnde
Qualifikationsstandards
mangelhafte
Arbeitsgeräte
Immer öfter hören wir aus vielen Unternehmen im Bodenverkehrsdienst Beschwerden, wie die folgenden Beispiele:
Das sind keine Einzelfälle. Unsere Umfrage unter über 2.000 Beschäfigten aus fast allen BVD Unternehmen an den deutschen Flughäfen hat gezeigt:
Die körperliche und psychische Belastung im BVD ist oft hoch. Hast Du häufig: Rücken, Gelenk, Kopf oder andere gesundheitliche Beschwerden.
Andere gesundheitliche Beschwerden sind häufig: Psychische Beschwerden, Schlafstörungen und Knieprobleme.
Inwieweit reichen die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, die Dein Betrieb Dir bietet?
- „Sehr hohem Maß“ oder „Hohem Maß“: 19%
- „Geringes Maß“ oder „Gar nicht“: 78%
Fragen und Antworten zur Gefährdungsanzeige
Was genau ist die Gefährdungsanzeige?
Die Gefährdungsanzeige, manchmal auch Überlastungsanzeige genannt, ist:
- ein sehr wichtiges und wirksames Mittel zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit!
- bisher selten oder kaum von den Beschäftigten im Bodenverkehrsdienst genutzt worden,obwohl sie gesetzlich vorgeschrieben ist…
……weil sie vielen nicht bekannt war
……weil man sich oft alleine nicht traut, sie gegenüber dem Vorgesetzten zu stellen
Das können, wollen und werden wir ändern! - Ein (schriftlicher) Hinweis an den Arbeitgeber über mögliche Schädigungen und Gefährdungen der Gesundheit und Sicherheit der
- Kunden/Passagiere etc.,
- der materiellen Werte des Unternehmens, Betriebes
- der Beschäftigten/Kolleg*innen
z.B. wegen
- Personalmangel
- Mängel in der Arbeitsorganisation,
- mangelnde Qualifikation, mangelnde Ausbildung/training
oder
- Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz usw..
Warum sollte jeder eine Gefährdungsanzeige stellen, wenn`s brennt und was sagt das Gesetz dazu?
Im Gesetz steht, dass der Mitarbeiter verpflichtet ist, immer dann, wenn eine Gefahr für Mensch und Material möglich ist, den Arbeitgeber VORHER darüber und über mögliche Folgen zu informieren hat (§15 und §16 Arbeitsschutzgesetz).
Im Arbeitsschutzgesetz steht, alle Beschäftigten müssen
- nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge tragen.
- auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen sorgen, die von ihre Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind.
- dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt sofort melden.
- gemeinsam mit dem Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit den Arbeitgeber darin unterstützen, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten (…) (§15, 16 ArbSchG)
Was habe ich als Beschäftigter davon, immer dann eine Gefährdungsanzeige zu stellen, wenn mal wieder zu wenig Personal da ist, ich meine Pause nicht nehmen kann, das Arbeitsmaterial kaputt ist usw.?
Die Gefährdungsanzeige schützt z.B. vor Abmahnungen und Haftungen auf im Check-In:
Wegen Überbuchungen und Verspätungen kommt es zu einem hohen Passagieraufkommen, es herrscht wieder einmal Personalmangel. Kollegin Britta aus der Passage stellt deshalb eine Gefährdungsanzeige.
Wie so oft fehlt die Zeit, alle Passagiere korrekt nach den Visa- und Einreisebestimmungen zu überprüfen, und das Übergepäck wird nicht abkassiert.
Dadurch gerät ein Passagier ohne Visum in ein Flugzeug nach Moskau und wird direkt zurück nach Deutschland geschickt.
Dem Arbeitgeber und der Airline geht das X Bag Geld verloren.
Auch Britta kann nicht abgemahnt oder haftbar gemacht werden, da sie eine Gefährdungsanzeige geschrieben hat.
Die Gefährdungsanzeige schützt z.B. vor Abmahnungen und Haftungen auf der Rampe:
Ein Oberlader, Rampagent, Lademeister, Headloadder, Gruppenführer, Teamleiter oder Gruppenmeister, nennen wir ihn Hakan, arbeitet an einem A320 mit Handbeladung.
Er ist in großem Stress, weil zu wenig Leute da sind, und hat Sorge, deshalb den Überblick zu verlieren.
Er erstellt deswegen eine Gefährdungsanzeige und übergibt sie seinem Vorgesetzten.
Durch den Stress übersieht Hakan, dass das Sicherheitsnetz zwischen Compartment 3 und 4 fehlt.
Auf der Ladeanweisung unterschreibt er in der Eile für die korrekte Verladung, ohne auf das fehlende Netz und die nicht vorhandene Ladungssicherung hinzuweisen.
Auf dem Flug verrutscht wertvolle Fracht und entsteht ein Schaden von mehreren tausend Euro.
Dann ist Hakan durch seine Gefährdungsanzeige gegen Haftung geschützt.
Wo finde ich denn die Vordrucke für die Gefährdungsanzeigen in meinem Unternehmen?
Wir haben zwei Vordrucke entworfen, auf denen man ankreuzen kann, welche Art von Gefährdung vorliegt.
Eine für die Passagierabfertigung und eine für die Gepäckabfertigung/Vorfeld/Rampe/Werkstätten/Cargo.
Diese sind auszufüllen und an den direkten Vorgesetzten zu übergeben.
Die Vordrucke erhältst du bei deinem Betriebsrat oder bei deinen ver.di Vertrauensleuten.
Was soll das denn bringen? Das macht doch noch viel mehr Arbeit, wenn ich jeden Tag so eine Gefährdungsanzeige ausfüllen muss?!
Ja, es macht ein wenig Arbeit, die Gefährdungsanzeige andauernd wieder von neuem auszufüllen. Aber:
Ab Juli 2017 führen wir die Gefährdungsanzeige in allen Unternehmen an nahezu alle Flughäfen im Bodenverkehrsdienst ein.
Du bist also nicht alleine! Die Vorteile sind:
- Wir Beschäftigte erfüllen damit unsere gesetzliche Verpflichtung und können für die Folgen gemeldeter Gefahren nicht mehr haftbar gemacht werden
- Schriftlich festgehaltene gefährliche Missstände können von den letztlich verantwortlichen Arbeitgebern auf Dauer nicht mehr übersehen oder ignoriert werden. Der Arbeitgeber ist dann gesetzlich verpflichtet zu handeln. Tut er das nicht, macht er sich ggf. strafbar.
Und wenn ihr uns Betriebsräten oder Vertrauensleuten immer eine Kopie eurer Anzeigen gebt, kann künftig klipp und klar bewiesen werden, dass viele Missstände eben nicht nur vereinzelt, sondern überall und dauerhaft auftreten.
Das ist dann ein großer Schritt zur wirklichen Beendigung von schlechten und gefährlichen Arbeitsbedingungen. Und wenn es die Arbeitgeber dazu bringt, mit uns gemeinsame, dauerhafte und tarifliche Lösungen für die Probleme zu finden, dann haben wir viel erreicht.
Bekomme ich dann Ärger vom Chef, wenn ich eine Gefährdungsanzeige ausfülle?
Das wäre strafbar. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, sie entgegenzunehmen und darf keinen Beschäftigten deswegen benachteiligen. Denn wir erfüllen ja nur das Gesetz.
Aber am besten ist es, wenn du mit deinen Kollegen und Kolleginnen gleichzeitig eine Gefährdungsanzeige stellst!
Jeder Chef, der sich anders verhält, macht sich strafbar.
Die Gefährdungsanzeige darf auch nicht vom Vorgesetzten weg geworfen werden, da es sich um eine Urkunde handelt.
Falls trotzdem Druck auf Beschäftigte ausgeübt wird, können Betriebsrat und ver.di Vertrauensleute euch schützen. Meldet Euch bei uns!
Wo bekomme ich denn den Vordruck der Gefährdungsanzeige und an wen gebe ich sie ab?
Die ausgefüllte Anzeige wird dem direkten Vorgesetzten oder der Geschäftsführung übergeben. Zur Not kann die Gefährdungsanzeige auch telefonisch gestellt werden und dann im Nachhinein schriftlich.
Wichtig ist, dass entweder der Betriebsrat oder/und die ver.di Vertrauensleute eine Kopie der Anzeige erhalten.
Nur dann können ver.di Vertrauensleute, der BR und ver.di nachweisen, wo die Probleme liegen. Wir achten selbstverständlich auf den Datenschutz.
Mach mit! Stelle künftig immer, wenn es brennt, eine Gefährdungsanzeige. Lass dich von ver.di als großer und starker Gewerkschaft dabei unterstützen und schützen. Und sorge mit dafür, dass künftig alle Anzeigen gesammelt und die Missstände damit bewiesen und abgestellt werden können.